Mittwoch, 17. November 2021

"Die Welt nicht mehr verstehen" und "unerledigte Fragen, die keine Ruhe lassen" - Discover the Thinking of Christina Thürmer-Rohr who turns 85 today

 

 Christina Thürmer-Rohr, private photo

"Die Welt liegt in Scherben, so heißt es. Und sich mit einer Welt anzufreunden, die sich der Freundschaft entzieht, scheint paradox. Christina Thürmer-Rohr kreist in ihren Essays zu Feminismus, Pluralität, Dialog, Außenseitertum, Vergänglichkeit und zum politischen Denken Hannah Arendts um den Widerstreit zwischen dem Heimatlichen und dem Unheimlichen - und um die Fiktionen vom »heilen« Geschlecht. Sie widerspricht dabei der Annahme, Fremdheit sei das Andere der Freundschaft, Freundschaft das Andere der Fremdheit. So entsteht eine Karte, auf der man sich hin- und herbewegen kann, denn die Nachbarschaft der einzelnen Texte eröffnet Türen zu Lesarten, die nicht in den gewohnten Spuren bleiben, und führt zu unerledigten Fragen, die keine Ruhe lassen." 

Kurzinhaltsangabe des Verlags von Christina Thürmer-Rohrs Essayband "Fremdheiten und Freundschaften", 2019

The world is in shards, so one says. And to make friends with a world that eludes friendship seems paradoxical. In her essays on feminism, plurality, dialogue, outsiderhood, transience and Hannah Arendt's political thinking, Christina Thürmer-Rohr revolves around the conflict between the homely and the uncanny - and the fictions of the "ideal" gender. She contradicts the assumption that strangeness is the Other of friendship, friendship the Other of strangeness. The result is a map on which you can move back and forth, because the proximity of the individual texts opens doors to readings that do not stay in the usual tracks, leading to unfinished questions that leave no peace.
 
Editorial summary of contents of Christina Thürmer-Rohr's Volume of Essays "Fremdheiten und Freundschaften", 2019

Ein Text ist öffentlich als pdf Leseprobe verfügbar, damit geht es los, es ist der Einführungstext "Die Welt in Scherben".-

The introductory text is available publicly as reading sample (pdf), I post it here together with the English translation as I am convinced that Christina Thürmer-Rohr essays are worthwhile reading too beyond German-speaking countries. Translating Christina Thürmer-Rohr is a challenge as she often uses German metaphores which are rather more often than less not to find in dictionaries. I would like to apologize in advance for occuring mismatches and inaccuracies.

 

 Einführung: Welt in Scherben 

Introduction: The World in Shards
 

I.   Essays verleihen Freiheiten. Sie bleiben unbefangen gegenüber Spezialistentum und besetzen kein Territorium. Man schreibt, wenn man ins Stocken geraten ist. Manche meinen, es mache wenig Sinn, sich Fragen zu stellen, auf die man keine Antwort weiß. Ich meine, der Sinn solcher Fragen liegt darin, ihnen ihren Platz als unerledigte Fragen einzuräumen. So lassen sie keine Ruhe. Bekanntes löst sich
auf in Unbekanntes und umgekehrt. Mit diesen Unwägbarkeiten muss das Denken sich an die Arbeit machen.
  [...]  Fragen wiederholen sich in unterschiedlichen Kontexten – in nicht museal gewordenen Gedanken, unerledigten Anläufen, Rückblenden, Erinnerungen. Diese Mischung ist sicher auch der Tatsache geschuldet, dass ich alt geworden bin und um die verknappte Zeit weiß, die mir noch zur Verfügung steht. Der Rahmen, in dem die Fragen kreisen, ergibt sich aus Herausforderungen des
Zusammenlebens in einer Welt, die die einzige ist, die wir haben in der einzigen Zeit, die uns bleibt.

 I. Essays give freedom. They remain impartial about specialization and do not occupy any territory. You write when you stagnates. Some think it makes little sense to ask yourself questions that you don't know the answer to. I mean, the point of such questions is to give them their place as unfinished business. So they don't give any rest. The known dissolves into the unknown and vice versa. With these imponderables, thinking has to get to work. [...]  Questions are repeated in different contexts - in thoughts that have not become museum-like, unfinished business, flashbacks, memories. This mixture is certainly also due to the fact that I have grown old and know that there is not enough time left. The framework in which the questions revolve arises from the challenges of living together in a world that is the only one we have in the only time that remains to us.

 


II.  Viele sagen, »ich verstehe die Welt nicht mehr«. Die Welt sei »aus den Fugen«, die Welt liege »in Scherben« – ein Bild aus der Zeit der beiden Weltkriege des letzten Jahrhunderts, das zur Beschreibung der gegenwärtigen politischen Düsternis wiederersteht. Es spiegelt das Grundgefühl, dass wir in einer radikalen Bruch- oder Umbruchsituation leben und die Probleme außer Kontrolle geraten sind – epochale Verschiebungen gewohnter Ordnungen, Selbstbeschädigungen der Demokratien, Zweifel an ihrem Überleben, Zerreißproben Europas, gelähmte Handlungsfähigkeit der Staaten, vertiefte soziale Risse, rechtsradikale Entwicklungen, ungezähmte Hass- und Rauswerfparolen, Rückrufe einer geballten Männlichkeit. Die Scherben-Metapher ist allerdings riskant. Sie suggeriert, dass da nichts mehr zu machen sei. Im totalen Scherbenhaufen sind die Dinge irreparabel kaputt. Immerhin bringen zersprungene Gefäße auch eine Vielzahl von Einzelteilen hervor. Bruchstücke und Fragmente können sich mit neuer Bedeutung aufladen, sich lösen vom Zurück zu einem verlorenen »Ganzen«, einer idealisierten Vergangenheit und einem heilen Ursprung, den es nie gab. Wenn man »die Welt« einen
Scherbenhaufen nennt, muss man jedenfalls manches übersehen, abgesehen davon, dass nicht alle Jetztlebenden an der Vermehrung der Trümmer mitwirken.

Dennoch ist es eine paradoxe Herausforderung, sich mit einer Welt anzufreunden, die sich der Anfreundung entzieht. Wenn die Welt unwirtliche Signale aussendet, wenn Gefahren von außen wie von innen drohen, möchte man sich zurückziehen. Diese gleiche Welt braucht aber Menschen, die den Zerfall zum Anlass nehmen, um zu entscheiden, was zusammenzusetzen, was zu entsorgen, was neu
zu finden ist. Politisches Denken und Handeln erlahmt, wenn Zuwendung zur bitteren Anstrengung wird. Es braucht einen Gegenwarts- und Zukunftselan, der vom menschlichen Handeln noch Neuanfänge erwartet – und nicht nur Reparatur- und Wiederaufbauleistungen, die alte Zustände rekonstruieren wollen.

Heute findet sich ein völkischer Nationalismus wiederbelebt, der seine Normen als »natürliche« Normen fortschreiben und Zugehörigkeiten von weder ablegbaren noch erwerbbaren Ausstattungen abhängig machen will. Er korrespondiert mit traditionellen Geschlechterdefinitionen, die sich in die Stabilität des Gewohnten einbetten und die alten Geschlechtsgehäuse in eine vorpolitische Idee fremdenfreier Gemeinschaften einschmelzen möchten. Wütende Antworten auf Migration und auf Unschärfen der Geschlechterdifferenz schaffen sich in einer Empörungskultur Platz, die nach »heiler« Nation und »heilem« Geschlecht ruft. Desintegrierende Folgen abhandengekommener Sicherheiten werden mit Hilfe von Identitätspolitiken aufzufangen versucht, die Zusammengehörigkeit in überkommenen Gefäßen der Verortung anbieten: in der Leitidee eines Wir der Gleichen oder Ähnlichen, Einheit als Einzahl, Einheit durch Ein- und Ausgrenzung, Einheit mit Hilfe gemeinsamer Außenfeinde und neuer Opfernarrative. Affekte gegen internationale Räume, gegen die Lebensfähigkeit kosmopolitischen Denkens, gegen den Sinn vervielfältigter Geschlechterrealitäten suggerieren, dass wir früher in Einstimmigkeit gelebt und dass wir Anspruch auf eine homogene Zukunft hätten.

Die Zusage eines intakten Wir mit seinen vordefinierten Zugehörigkeiten hat sich aber von den Realitäten weit entfernt. Die beiden prominenten Identitätsbeschaffer Nation und Geschlecht haben ihren Charakter als Ordnungsmodelle und sichere Wir-Stifter längst eingebüßt. Nation garantiert keine kollektive Identität und Geschlecht ist kein Schicksal, das uns ein vordefiniertes »Wesen« und einen vorgezeichneten gesellschaftlichen Ort zuschreibt.

Mit der Erkenntnis, dass Ungewissheit aus unserer Existenz nicht herausgewünscht werden kann, dass die tradierten Ordnungskräfte von Nation und Geschlecht längst brüchig geworden sind und Nation kein souverän planendes und entscheidendes Projekt mehr ist, verblasst auch die Sortierungs- und Ordnungssucht der westlichen Moderne, jedenfalls verliert sie ihren Furor und ihr gutes Gewissen. Solche Verunsicherungen decken sich nicht nur mit einem schon vergangenen postmodernen Credo. Sie erweisen sich als Gegenwartserfahrung, zu der die Instabilität ebenso wie die Offenheit des Wir, des fremden wie des einheimischen, gehört. Wer den Ausweg in einer kosmopolitischen »Ausdehnung des Wir« sieht, muss sich vorhalten lassen, dieser Ausweg würde schließlich alle der schieren Fremdheit ausliefern. Wenn die Hierarchisierung der Ethnien gepaart mit aggressiver Männlichkeit aufersteht, wenn Fremdheit ihr Stigma verschärft und zum prominenten Angstauslöser wird, läuft jedes weltbezogene politische Denken Gefahr, zur schönen Predigt zu verkommen. Der Ruf nach einem homogenen Wir, nach »heiler« Nation und »heilem« Geschlecht ist wegen seiner Exklusionskraft
ein gefährlicher Ruf und wegen seiner Unmöglichkeit ein vergeblicher Ruf.


II.    Many say, "I no longer understand the world". The world is "in shambles", the world is "in shards" - an image from the time of the two world wars of the last century, which reappears to describe the current political gloom. It reflects the basic feeling that we are living in a radical situation of rupture or upheaval and that the problems are out of control - epoch-making shifts in the usual order, self-harm of the democracies, doubts about their survival, ordeals in Europe, paralyzed ability of countries to act, deepened social rifts, right-wing radical developments, untamed slogans of hate and expulsion, recalls of concentrated masculinity. The broken glass metaphor is risky, however. It suggests that there is nothing left to do. In a total pile of shards, things are irreparably broken. After all, shattered vessels also produce a multitude of individual parts. Fragments and fragments can be charged with a new meaning, they can detach themselves from the return to a lost "whole", an idealized past and an intact origin that never existed. If you call "the World" a heap of broken glass, one has to overlook some things, apart from the fact that not all those living now are involved in the increase of the rubble.

Nevertheless, it is a paradoxical challenge to make friends with a world that eludes friendship. When the world sends out inhospitable signals, when there is danger from outside as well as from within, people want to withdraw. But this same world needs people who take the disintegration as an opportunity to decide what to put together, what to dispose of, what new can be found. Political thinking and action paralyze when attention becomes a bitter effort. What is needed is an elan for the present and the future that expects new beginnings from human activity - and not just repair and maintenance services that want to reconstruct old conditions.

Today a "völkisch" nationalism can be found revived, which wants to perpetuate its norms as "natural" norms and make affiliations dependent on dowries that can neither be discarded nor acquired. It corresponds to traditional gender definitions that are embedded in the stability of the familiar and want to melt the old gender corsetts into a pre-political idea of ​​foreign-free communities.
Angry responses to migration and to blurring of the gender difference create space in a culture of indignation calling for an "ideal/healthy" nation and an "ideal/healthy" gender.Attempts are made trying to absorb the disintegrating consequences of lost certainties with identity politics, offering togetherness in traditional containers of localization: in the central idea of ​​a We of equals or similars, unity as singular, unity through inclusion and exclusion, unity with the help of collective external enemies and new victim narratives. Affects against international spheres, against the viability of cosmopolitan thinking, against the meaning of multiplied gender realities suggest that we used to live in unanimity and that we were entitled to a homogeneous future. 
 
Angry responses to migration and to blurring of the gender difference create space in a culture of indignation that calls for a "perfect" nation and a "perfect" gender. The disintegrating consequences of lost securities are attempted to be absorbed with the help of identity politics that offer togetherness in traditional vessels of localization: in the central idea of ​​a We of equals or similar, unity as singular, unity through inclusion and exclusion, unity with the help of common external enemies and new victim narratives. Affects against international spaces, against the viability of cosmopolitan thinking, against the meaning of multiplied gender realities suggest that we used to live in unanimity and that we were entitled to a homogeneous future.
 
However, the promise of an intact We with its predefined affiliations is far removed from the realities. The two prominent creators of identity, nation and gender, have long since lost their character as order models and secure We-creators. Nation does not guarantee a collective identity and gender is not a fate that ascribes a predefined "being" and a predetermined social place to us.
 
With the realization that uncertainty cannot be wished out of our existence, that the traditional forces of order of nation and gender have long since become fragile and that nation is no longer a sovereignly planning and decisive project, Western modernity's addiction to sorting and order fades, in any case it is losing it's anger and it's clear conscience. Such uncertainties do not only coincide with a postmodern credo that has already passed. They turn out to be present-day experience, which includes instability as well as the openness of the We, the foreign as well as the native. Anyone who sees the way out in a cosmopolitan "expansion of the We" must face the reproach that this way out would ultimately deliver all to sheer strangeness. When the hierarchization of ethnic groups paired with aggressive masculinity, when strangeness intensifies its stigma and becomes a prominent fear trigger, all world-related political thinking runs the risk of degenerating into a beautiful sermon. The call for a homogeneous We, for a "perfect" nation and a "perfect" gender is due to its power of exclusion a dangerous call and, because of its impossibility, a futile call.
 
 


 
III.  Fremdheit gilt landläufig als das Andere der Freundschaft, Freundschaft als das Andere der Fremdheit. Fremdheit schließe Freundschaft aus und Freundschaft schließe Fremdheit aus. Das Prinzip Fremdheit sei das Nicht-Wir, das Unheimliche und Nicht-Verstehbare; das Prinzip Freundschaft sei das Wir, das Bekannte und Kongruente. Solche Polarisierungen behaupten den Bedrohungscharakter des Unvertrauten und die Harmonie im Vertrauten und schränken den Blick auf beiden Seiten ein. Sie lassen Fremdheitserfahrungen wie ein Sturz ins Ungewisse wirken, so als sei unsere Ausgangslage ein Zustand der Gewissheit, auf den wir lebenslang Anspruch hätten.
 
Die Gegensatzbildungen verkennen, dass sich Fremdheiten und Freundschaften bedingen, dass Fremdheit unsere bleibende Lebensbedingung und Freundschaft eine von Andersheit durchmischte Verbindung ist – eine »Erhellung«, wie ein unsicheres, flackerndes und oft schwaches Licht. Vertrautes kann wieder fremd werden, was man gekannt, kann zerfallen. Man ist fremd und man freundet sich an, man freundet sich an und wird fremd. Man fühlt sich fremd, ist aber nicht fremd. Man versteht nicht, ist aber doch zugehörig. Man kann vom Vertrauten und vom Unvertrauten abgestoßen oder aufgenommen sein. Werden wir verstanden, hören wir auf, uns als verschieden wahrzunehmen – und fangen erneut an, uns als verschieden zu erkennen.

Diese Ambivalenzen irritieren den Wunsch, die Verschiedenen innerhalb klarer Grenzen eindeutig zu definieren, zu verbinden oder zu trennen. Ordnungswünsche werden gestört, wenn in die Fremdheit Erfahrungen der Freundschaft und in die Freundschaft Erfahrungen der Fremdheit einziehen. Sie durchkreuzen Ideologien, die Fremdheiten zum Notanzeiger oder Warnsignal und zum Gegenstück
des Eigenen machen. Wir stoßen aber auf Fremdheiten überall dort, wo Menschen miteinander und mit sich selbst zu tun haben. Fremdheit ist nichts, wovon wir uns befreien müssten oder könnten, oder das wir uns vertraut machen sollten, um es schließlich selbst zu besitzen, oder das wir orten müssten, um es aus dem eigenen Horizont abschieben zu können.

    »Dieselbe Kraft, die Trennung verhindert, individuiert auch, lässt für sich stehen und stellt 
      gegenüber«
 
und dieselbe Kraft, die Trennung schafft, hat auch die Fähigkeit, zu verbinden. Das Fremde trennt nicht nur, sondern führt auch zueinander. Aber auch im Zueinander bleiben wir unterschieden. Die Verschiedenen sind zusammengehörig in dem ewigen Drama, in welchem sie nur in ihrem gegenseitigen Sich-Unterscheiden übereinstimmen. Dieses Drama bestreitet, dass wir zum Getrenntsein verurteilt sind. Es zeigt die mögliche Verträglichkeit von Fremdheit und Freundschaft, die Dynamik ihrer Gleichzeitigkeit. Es macht zugleich alle dialogischen Verbindungen empfänglich für das Unsichere. Auch die Harmonie macht »die Vielen verschieden, konstituiert sie als wirklich Verschiedene, stellt sie einander gegenüber. Es gäbe keine Harmonie ohne diese Gegenüberstellung«. Nichts scheint zu stehen, nichts ist in Ruhe. Damit verschieben sich die Inhalte der Worte Wir, Gleichsein, Identität, Einheit, Selbst, Singular, Gewalt, Omnipotenz. Wissen wie Nicht-Wissen bekommen eine andere Bedeutung.

Das Aufeinanderverwiesensein als Verschiedene und die Fähigkeit, Andere zum Gegenüber werden zu lassen, schließt allerdings die Anstrengung ein, auch die mitzudenken, die wir uns nicht ausgesucht haben, auch die, die Pluralität nicht wollen. Fremdheitserfahrungen, in denen Brücken der Verständigung abhandenkommen, sind keine Bagatelle. Es sind Erfahrungen der Entmachtung und des Souveränitätsverlusts. Man möchte diese Erfahrungen vermeiden.
 
In den neunziger Jahren verband sich das Wort »Vielfalt« mit der Vision, von gesellschaftlicher Erstarrung zu erlösen, auch mit der entspannten Meinung, dass alles Verschiedene irgendwie seinen Platz haben könnte, auch die Splitter, das Kaputte und das Falsche. Diese Vorstellung war zugleich dazu angetan, auf die Unterscheidung von Vielfalt und vielfachem Unrecht zu verzichten und Diskriminierungen tolerierbar und Eigenansprüche legitimierbar zu machen. Mittlerweile scheint
»Vielfalt« zur unheimlichen Erfahrung zu werden. Sie verbindet sich zunehmend mit der Überzeugung, sie nicht zu
wollen, oder mit der Befürchtung, sie nicht zu können. Der frühere Veränderungselan ist einer Abwehr oder Distanz gewichen, die der Zukunft misstraut. »Veränderung« erscheint kaum noch als ein der eigenen Regie anheimgestelltes Werk, ist kaum noch das große Sehnsuchtswort, dem
durch eigenes und gemeinsames Handeln näherzukommen sei. Veränderungstreiber sind Akteure, mit denen man nicht gerechnet hatte, oder sind anonyme, täterlos scheinende Kräfte, auf deren Dynamik wir keinen Einfluss haben.

 
 III.
Strangeness is commonly regarded as the Other of friendship, friendship as the Other of strangeness. Strangeness excludes friendship and friendship excludes strangeness. The principle of strangeness is the Non-We, the uncanny and non-comprehensible; the principle of friendship is the We, the familiar and congruent. Such polarizations assert the threat character of the unfamiliar and the harmony in the familiar and restrict the view on both sides. They let experiences of strangeness seem like a fall into the unknown, as if our starting position were a state of certainty to which we had a lifelong claim.
 
These opposed constructions fail to realize that strangenesses and frienships necessitate each other, that strangeness is our staying condition of life and that friendship is a connection of mixed differences - an "illumination" like an uncertain, flickering and often weak light. The familiar can become strange again, what one knows can fall apart. One is a stranger and one makes friends, one makes friends and one becomes a stranger. One feels strange, but one is not a stranger. One does't understand, but is belonging anyway. One can be repulsed or absorbed by the familiar and the unfamiliar. If we are understood, we stop perceiving ourselves as different - and start again to recognize ourselves as different.
 
These ambivalences irritate the desire to clearly define, connect or separate the different within clear boundaries.Desires for order are disturbed when experiences of friendship move into strangeness and experiences of strangeness move into friendship. They thwart ideologies that make strangenesses to become an emergency indicator or warning signal and to the counterpart of what is Own. But we encounter strangeness wherever people deal with each other and with themselves. Strangeness is not something that we should or could free ourselves from, or that we should familiarize ourselves with in order to ultimately own it, or that we had to locate it in order to get it pushed out of our own horizon.
 
    "The same force that prevents separation also individuates, lets stand for itself and contrasts"
 
and the same force that creates separation also has the ability to connect. The strange not only separates, but also leads to one another. But we also remain different in relation towards one another. The different belong together in the eternal drama in which they only match in their mutual distinction. This drama denies that we are doomed to be separated. It shows the possible compatibility of strangeness and friendship, the dynamic of their simultaneity. At the same time, it makes all dialogical connections receptive to uncertainty. Harmony, too, makes “the many different, constitutes them as really different, contrasts them with one another. There would be no harmony without this comparison «. Nothing seems to be standing, nothing is at rest. This shifts the content of the words We, Equality, Identity, Unity, Self, Singular, Violence, Omnipotence. Knowing and not-knowing become a different meaning.
 
Relating to one another as different and the ability to let others become the opposite also includes the effort to think along with those who we have not chosen, even those who do not want plurality. Experiences of strangeness in which bridges of understanding get lost are by no means trivial. They are experiences of disempowerment and loss of sovereignty. One would like to avoid these experiences.
 
In the nineties, the word “diversity” was associated with the vision of relieving society from paralysis, also with the relaxed opinion that everything different could somehow have its place, including the splinters, the broken and the wrong. At the same time, this notion made it possible to forego the distinction between diversity and multiple injustices and to tolerate discrimination and legitimize self-claims. "Diversity" now seems to become an uncanny experience. It is increasingly associated with the conviction that one does not want it or with the fear not to be able to cope with. The earlier urge for change has given way to a defense or distance that distrusts the future. “Change” hardly appears to be a work left to oneself, is hardly the great word of longing that can be approached through one's own and joint action. Drivers regarding change are actors who were not expected, or are anonymous, seemingly perpetratorless forces, over whose dynamics we have no influence.
 
 

 
IV.  Die vorliegenden Texte erinnern immer wieder an das politische Denken Hannah Arendts. Dabei geht es nicht darum, aus ihren breit gefächerten Themen Handlungsanweisungen zu ziehen oder das Selberdenken zu entlasten. Der Grund, dass Arendts Denken zu einer Art »Fixstern« werden kann, liegt darin, dass sich in ihm der Wille kundtut, sich in einer zerstörbaren Welt zu bewähren und einen Weltbezug aufrechtzuerhalten, der der Indifferenz entgeht. Arendts politisches Denken fordert dazu heraus, ihre Gedankenwelt wie eine Werkstatt zu betreten, »sich in einem neuen Gehen zu üben«, Denkwege zu zeigen. Es ist ein offenes Denken, das nicht nach einem Universalschlüssel sucht, der den wahren Zugang zur Wirklichkeit verschaffen könnte. Es macht sich von den Scheinsicherheiten geschlossener Theorien und vom Betrieb akademischer Diskurse unabhängig und widersetzt
sich den Singularen »der Mensch«, »die Wahrheit«, »die Identität«. 
Mary McCarthy sagte in ihren Abschiedsworten nach Arendts Tod 1975: 
 
    »Das Wuchern von präzisen Unterscheidungen in ihrem Werk, die sich wie zarte Triebe in alle
      Richtungen ausbreiten […] zeigt ihre typische ehrfürchtige Bescheidenheit angesichts der Fülle
      der Welt und ihres partikularen Charakters«

Dieser partikulare Charakter verweist auf die Grundqualität des Politischen, das vom Zusammenkommen der Verschiedenen handelt: auf ein nicht‐totalitäres, ein mehrdimensionales Denken, das immer dialogisches Denken ist. Es erkennt die Pluralität der Dinge, Menschen, Meinungen an, eine Pluralität, die Zygmunt Bauman »unheilbar«nannte – eine Herausforderung und ein Geschenk zugleich, das den Reichtum des Zusammenlebens einschließlich der Fülle seiner Kontroversen
ausmacht. Jedenfalls sind die Antworten auf die Pluralität der Welt eine Daueraufgabe, die sich der ständigen Anwesenheit der Mitwelt bewusst ist und sich dem Verbundensein wie dem Getrenntsein stellt. Sie macht uns heimisch und fremd zugleich und nimmt der Fremdheit den Charakter unausweichlicher Bedrohung. Arendts Denken ist bestimmt von
 
 
      »wiederkehrenden Ausbrüchen leidenschaftlichen Verzweifelns an der Vernunft, dem Denken
      und dem rationalen Diskurs«:

vom Erschrecken über die Erfahrung und Wirkung totaler Herrschaft, über einen möglichen politischen Ruin und die Zerstörung menschlichen Handelns – ein Erdbeben, das nicht nur Menschenleben und menschliche Seelen zerstört hat, sondern zugleich unser gesamtes geistiges Instrumentarium, um es zu begreifen. Zugleich aber hat Arendt die »Welt der Wirklichkeit« nicht verlassen und die Sorge um den
Bestand und die Wiederbelebung des Politischen, die Suche nach Schätzen, die der Welt Bestand geben, das Ringen um Verstehen und eigenes Urteilen und damit das Vertrauen in menschliches Handeln nie aufgegeben.

Arendts »Übungen im politischen Denken« sind bestimmt vom Bewahrenwollen und Destruierenmüssen einer Tradition, die uns unsere Erbschaft ohne Testament überlassen hat
, von diesem Bruch und verloren gegangenen Besitz, den die totalitären Entwicklungen erzwungen haben. Arendts Denken zeugt von einem
Urteilsmut, der sich den Konflikten der Gegenwart des 20. Jahrhunderts stellte, ein Denken, genährt aus dem Heute, Denkbruchstücke, genährt aus Vergangenheiten – nicht um »zur Erneuerung abgelebter Zeiten beizutragen«, sondern geleitet von
der Überzeugung, dass »der Verwesungsprozess gleichzeitig ein Kristallisationsprozess« sein kann.
 
Diese Worte, die Arendt Walter Benjamin gewidmet hat, greifen sein Bild des Perlentauchers auf, das auch auf sie selbst rückbezogen werden kann. Arendts Realitätsbezug ist nüchtern und emphatisch zugleich: ein Versuch der Ansiedlung in einer Welt, die die Ansiedlung ebenso verlangt wie erschwert.
In Arendts Denken ist Pluralität unsere Existenzbedingung, die Fremdheit einschließt.Wir sind als Neuankömmlinge und Fremdlinge in die Welt hineingeboren, können aber immer wieder auf diese Fremdheit »verzichten«, indem wir im Sprechen und im Handeln in Erscheinung treten
18 und uns den Angelegenheiten der Welt zuwenden. Dabei verknüpft Arendt das Politische – das Zusammenkommen
der immer verschiedenen Menschen – mit einer Metaphorik der Freundschaft, die auf die griechische Antike zurückgeht, auf die Meinung, dass ein menschliches Leben nichts weniger entbehren könne als Freundschaften und dass erst das dauernde Gespräch die Verschiedenen zu einem Gemeinwesen verbinden könne.
 
In dieser Metaphorik geht es nicht um eine illusionäre universale Zwischenmenschlichkeit, erst recht nicht um ein zur-Einheit-Werden der Verschiedenen, sondern um eine spezifische Qualität der Begegnung und Gegenüberstellung, die das unaufhebbar Verschiedene will und braucht. Kern dieses Freundschaftsgedankens ist eine Akzeptanz der Pluralität, die den politischen Zusammenhang von
Differenz und Freiheit symbolisiert.
Freundschaften sind wählerisch, gewählte Verbindungen, Wahlverwandtschaften statt Verwandtschaften. Dieser Freundschaftsbegriff setzt sich ab von Familienanalogien, die Zusammengehörigkeiten am Modell biologischer Verwandtschaft messen und nach diesem Modell auch die jeweiligen Gemeinwesen als homogene Bevölkerungsblöcke konstituieren wollen. Ein familienanaloges Wir wirkt wie ein Schlagbaum, der die Grenze zwischen Zugehörigen und Nicht-Zugehörigen markiert. Der politische Freundschaftsgedanke lebt demgegenüber von einer Differenz, die den Naturzwängen und der Deformation des Politischen zur »Natur« entkommt.
 
Der agonale Charakter dieses ins Politische transformierten Freundschaftsbegriffs macht Freundschaft zu einer republikanischen Tugend, deren Grundlage im Interesse liegt, im »unter Menschen weilen«, von denen »keiner je einem anderen gleicht, der einmal gelebt hat oder lebt oder leben wird«.

Das öffentliche Versammeln an Orten, wo Menschen sich mit vielen Stimmen zeigen, argumentieren, reden, streiten, fragen, antworten, bringt Übereinstimmungen und Abweichungen zum Vorschein und hält im Gespräch, was andere zu sagen haben. Es macht »den öffentlichen Bereich bewohnbar« als eine mit anderen geteilte Welt. In diesem öffentlichen Raum herrscht nicht die intime Nähe natürlicher« Übereinstimmung, die Arendt da lässt, wo sie hingehört, ins Private.
Deswegen werden Freundschaften, die die Pluralität stiftet, aber nicht zu papierenen Diskursen. Sie haben agonalen und erotischen Charakter.Die Beteiligten freuen sich aufeinander, erinnern sich aneinander, erkennen sich wieder, wollen sich wiedertreffen.

Arendt ist eine geniale Begabung zur Freundschaft nachgesagt worden, die vor allem in ihrem riesigen Briefwerk dokumentiert ist. Es bezeugt verschiedene Grade der Nähe und Distanz, auch eine gewisse »Konventionalität, die Regeln und Grenzen akzeptiert« und im Dialog einen Stil vermittelt, der von beiden Seiten akzeptiert werden kann– immer die Suche nach Gemeinsamkeiten und die Zusicherung wechselseitiger Besorgtheit und Beständigkeit. 
 
Arendt hat von ihren vielen Europareisen regelmäßig Geschenke für ihre Freunde und Freundinnen mitgebracht, Gardinenstoff fürs Wohnzimmer, eine neue Hose, aktuelle Bücher. Und zugleich wollte sie auch in ihren Freundschaften eine gewisse Fremdheit bewahren. Mary McCarthy, die ihr nach Heinrich Blüchers Tod vorübergehend eine kleine separate Wohnung in ihrem Haus angeboten hatte, hatte ihr einige Vorräte für die Küche besorgt – wie zuhause sollte es sein –, z.B. Instantkaffee und Sardellen zum Frühstück.

      »Ich war recht stolz, dass ich im Dorfladen sogar Sardellenpaste aufgetrieben hatte. Am 
      Nachmittag ihrer Ankunft zeigte ich ihr, was alles im Speiseschrank war. Sie runzelte beim
      Anblick der kleinen Tube Sardellenpaste die Stirn […] ›Was ist das?‹ […] Sie legte die Tube hin
      und schaute nachdenklich und wie unzufrieden drein. Mehr wurde nicht gesagt. Doch ich wusste, 
      dass ich […] einen Fehler begangen hatte. Sie wollte nicht, dass man sie kannte […] und ich
      hatte das eben getan, um zu zeigen, dass ich sie kannte«.

Das war zu viel der Nähe. Die Episode zeigt, dass »die Person« auch in ihren Freundschaften das Recht auf eine schützende Maske behalten kann, ohne die Freundschaft zu schmälern. Arendt wollte einen Abstand wahren, Freundschaft ohne übergriffige Ansprüche auf ein »Ich kenne dich, ich durchschaue dich«. Man kann in aller Freundschaft nicht übereinstimmen, in gewisser Weise fremd bleiben, nicht verschmelzen. Und so könnte es sein, »dass es keinen besseren Weg gibt, sich an Freundschaft zu erinnern, als über die Unfähigkeit, sie zu definieren«.
 
 
 IV.   The texts at hand remind one of Hannah Arendt's political thinking. It is not about drawing instructions for action from her wide range of topics or relieving the burden of thinking for oneself. The reason that Arendt's thinking can become a kind of "fixed star" is that it manifests the will to prove itself in a destructible world and to maintain a reference to the world that escapes indifference. Arendt's political thinking challenges her to enter her world of thought like a workshop, "to practice a new way of walking", to show ways of thinking. It is an open thinking that does not look for a universal key giving true access to reality. It makes itself independent from the pseudo-certainties of closed theories and the operation of academic discourses and it opposes  the singular "the Man", "the Truth", "the Identity". Mary McCarthy said in her parting words after Arendt's death in 1975:
 
       "The proliferation of precise distinctions in her work, which spread like delicate shoots in all 
         directions [...] shows her typical reverent modesty in the face of the abundance of the world
         and its particular character."
 
This particular character refers to the basic quality of the political, which is about the coming together of the different: to a non-totalitarian, multidimensional thinking that is always dialogical thinking. It recognizes the plurality of things, people, opinions, a plurality that Zygmunt Bauman called "incurable" - a challenge and a gift at the same time that highlights the wealth of coexistence including the abundance of controversies. In any case,  to answer to the plurality of the world is a permanent task that is aware of the constant presence of the world around and faces connectedness as well as separation. It makes us at home and feeling unfamiliar at the same time and takes off the character of unavoidable threat in strangeness.  
 
Arendt's thinking is determined by
 
       "recurring outbursts of passionate despair at reason, thinking and rational discourse" :
 
of the horror of the experience and effects of total domination, of possible political ruin and the destruction of human behaviour - an earthquake that not only destroyed human lives and souls, but also all of our intellectual tools to understand it. At the same time, however, Arendt has not left the "world of reality" and never given up on worrying about the persistence and revival of the political, the search for treasures that will give the world stability, the struggle for understanding and personal judgments and thus the trust in human action.
 
Arendt's "Exercises in Political Thinking" are determined by the desire to preserve and destroy a tradition that has given us our inheritance without a will, by this break and lost property that totalitarian developments have forced. Arendt's thinking bears witness to a courage to judge, which faced the conflicts of the present of the 20th century, a way of thinking nourished from the today, fragments of thought nourished from the past - not to "contribute to the renewal of bygone times", but guided by
the conviction that "the decomposition process can also be a crystallization process".
 
 
These words, which Arendt dedicated to Walter Benjamin, take up his image of the pearl diver, which can also be related to herself. Arendt's relation to reality is sober and emphatic at the same time: an attempt to settle in a world that requires both to settle and making it difficult to settle.
 
In Arendt's thinking, plurality is our condition of existence, which includes strangeness. We are born into the world as newcomers and strangers, but we can always "do without" this strangeness by appearing through our speaking and acting and by turning towards the affairs of the world. In doing so, Arendt links the political - the coming together of always different people - with a metaphor of friendship that goes back to Greek antiquity, the opinion that a human life can do without anything less than friendships and that it is only through constant conversation that the Different can connect to a community.
 
This metaphor is not about an illusory universal interpersonal relationship, and certainly not about the unity of the different, but about a specific quality of encounter and juxtaposition that wants and needs what is irrevocably different. The core of this friendship idea is an acceptance of plurality, which symbolizes the political connection between difference and freedom. Friendships are choosy, chosen connections, elective affinities instead of relatives.This concept of friendship differs from family analogies, which measure togetherness on the model of biological relationship and, according to this model, also want to constitute the respective communities as homogeneous population blocks.
A family-like "we" acts like a barrier that marks the boundary between belonging and non-belonging. The political idea of friendship, on the other hand, thrives on a difference that escapes the constraints of nature and the deformation of the political into "nature".
 
The agonal character of this concept of friendship, transformed into the political, makes friendship a republican virtue, the basis of which lies in the interests of "being among people", of whom "no one is ever like another who once lived or lives or will live".
Gathering in public in places where people come out with many voices, argue, talk, argue, ask, answer, brings out correspondences and discrepancies and keeps the talk alive about what others have to say. It makes "the public area habitable" as a world shared with others. In this public space there is no intimate closeness of natural «correspondence that Arendt leaves where it belongs, into the private sphere.
That is why friendships that are created by plurality do not turn into discourses on paper. They have an agonal and erotic character. The participants look forward to each other, remember each other, recognize each other, want to meet again.
 
Arendt has been said to have an ingenious talent for friendship, which is especially documented in her huge correspondence. It shows different degrees of closeness and distance, also a certain "conventionality that accepts rules and boundaries" and communicates a style in dialogue that can be accepted by both sides - always the search for similarities and the assurance of mutual concern and constancy. From her many trips through Europe Arendt regularly brought gifts for her friends, curtains for the living room, new trousers, and the latest books. And at the same time she wanted to keep a certain strangeness in her friendships. Mary McCarthy, who had temporarily offered her a small separate apartment in her house after Heinrich Blücher's death, had got her some provisions for the kitchen - in order to make her feel at home -, e.g. Instant coffee and anchovies for breakfast.

         “I was really proud that I even found anchovy paste in the village shop. On the afternoon 
           of her arrival, I showed her what was in the pantry. She frowned at the sight of the small
           tube of anchovy paste [...] ›What is that?‹ [...] She put the tube down and looked thoughtful
           and dissatisfied thine. No more was said. But I knew that I [...] had made a mistake. She 
           didn't want anyone to know her […] and I just did that to show that I knew her «.
 
That was too close. The episode shows that "the person" can retain the right to a protective mask in their friendships without diminishing the friendship. Arendt wanted to keep a distance, friendship without excessive claims to "I know you, I see through you". In all friendship it is possible to not agree, in a certain way to remain a stranger, to not merge. And so it could be "that there is no better way to remind friendship than through the inability to define it."
 
 


 
V.  In den Aufbrüchen der 1970er Jahre hatte der öffentliche Raum neue Freundschaften geschaffen, die sich vom Privaten unterschieden. Zum Beispiel hatte die feministische »Agora« dafür gesorgt, in der Welt einen »Riesenphonographen« zu erkennen, in dem die Ideen, die einmal hineingesprochen wurden, widerklingen. So war die Geschichte der ersten Frauenbewegung zur wichtigen nachholenden Lektüre geworden. 100 Jahre alte Texte wurden zu Neuentdeckungen, die von der Teilnahme der Frauen am öffentlichen Leben ein politisches Erwachen, eine »Revolution« in den Köpfen erwarteten – eine Hypothek für nachkommende Generationen.

Hedwig Dohm, eine Außenseiterin, die ihren Kampf mit angriffslustigen Texten, einer Mischform aus Agitation und Analyse, Bitterkeit und Witz betrieb, hatte die Stimmrechtsforderung ihrer Zeit immer in Zusammenhang mit einem umfassenden Geschlechterunrecht gestellt und zugleich Frauen nicht geschont, vor allem nicht die Selbstgerechtigkeiten der bürgerlichen Frauen. Wenn der liebe Gott eine Frau hätte, schrieb sie, müsste sie so sein wie die deutsche Hausfrau. Diese ließe mit sich geschehen, was Männer gern mit ihr geschehen ließen. Sie erhebe das Lakaientum zu ihrem natürlichen Wesen, sonne sich in den Ämtern ihres Herrn, gewähre ihm den Genuss privater Macht und erweitere dessen Herrenbefugnis zum Geschenk an alle Männer. Sie entwickele zu wenig Grimm, um die eigene Erniedrigung zu fühlen, zu wenig Verstand, um deren Ursachen zu erkennen und zu wenig Herz, um sich vom Leiden ihrer Geschlechtsgenossinnen berühren zu lassen.
 
Diese Kritik richtete sich gegen die Macht einer jahrhundertelangen patriarchalen Kulturgeschichte samt ihrer Akteure, aber auch an die Objekte dieser Macht, die Frauen, sofern sie mit ihrer Passförmigkeit die demütigenden Strukturen stützen. Denn jede Macht ist auf Unterstützung angewiesen, ohne Zustimmung wird sie irgendwann zerfallen. Diese Sicht verharrt nicht in der Anklage eines Außenfeindes. Sie fordert die Mündigkeit der Frauen ein und schützt sie nicht vor der Einsicht, dass sie zu Mitträgerinnen gesellschaftlichen Unrechts werden, sofern sie die Dinge der Welt ungehindert den hegemonialen Männlichkeiten überlassen.

Frauen sei der Einblick in die eigenen Verwobenheiten und die Selbstaufforderung zu eigenem Denken zuzutrauen. Sie würden ihre »moralische Schwächung« und ihre Bindung an ihre kleine Eigenwelt überwinden, alle Willfährigkeiten hinter sich lassen und mit offenem Visier auftreten. Dabei war weniger von »Befreiung« die Rede, einem Entledigen von Lasten, einer Art Erlösung, als von „Erhebung“, einer Überlegenheit, die sich aus der niederdrückenden Demütigungsgeschichte herausarbeitet und mit allem Risiko durch Erkenntniszuwachs gleichrangig macht – eine Daueraufgabe, mit der Frauen für sich selbst, die Gesellschaft, die Demokratie zur Überraschung werden könnten.
 
Diese Lagebeschreibungen nehmen wir jetzt wie die Diagnose einer längst überwundenen Krankheit zur Kenntnis. Unsere Errungenschaften sind uns zur Selbstverständlichkeit geworden, wir meinen, uns weit entfernt zu haben von den standardisierten Übeln, die unseren Vorgängerinnen die Horizonte eingetrübt hatten. 
 
Heute stellen sich andere Fragen. So gingen unsere Vorgängerinnen noch davon aus, dass »Frauen« qua Geschlecht und Geschichte eine eigenständige politische Größe bildeten, deren Einstieg ins öffentliche Leben die Gesellschaft umstrukturieren würde. Dieser Glaube lässt sich nicht aufrechterhalten, diese »Einheit« gibt es nicht. Die Emanzipationsgeschichte hat das zur Einheit gezwungene Geschlecht längst diversifiziert und macht es im ganzen politischen Spektrum sichtbar. Der demokratische Rückschritt beginnt heute an der Wahlurne. Und dort finden sich auch die ein, für die der »Antigenderismus« zum Programm geworden und »rechtsradikaler Feminismus« kein Widerspruch in sich ist. Zu ihm bekennen sich auch Frauen, die dem sauberen Stereotyp komplementärer Weiblichkeit nicht unbedingt entsprechen. Wenn sie – zusammen mit manchen Altfeministinnen – die wesentliche Bedrohung europäischer Frauen im männlichen Migranten zu erkennen meinen, scheint es für sie keinen Widerspruch zwischen Feminismus, völkischem Denken und Rassismus zu geben.
 
Was ist in dieser unordentlichen politischen Landschaft vorbei, was ist nicht vorbei, Gleichheit mit was und mit wem, Selbstbestimmung zu was und für wen?
Was würden unsere Vorgängerinnen sagen, wenn sie in die Gegenwart blicken könnten? Sie würden erst mal staunen, denn rechtlich ist das Patriarchat hierzulande überwunden. Sie könnten aber fragen, wieso eine gerechte Gesellschaft trotz formaler Gleichberechtigung nicht erreicht ist. Sie würden vielleicht Zweifel daran anmelden, ob die Installation von Frauen in bestehende Machtsysteme wirklich
der Königsweg zu einer besseren Welt sei. Sie würden daran erinnern, dass ihre Vorstellung von Veränderung »das Ganze« im Blick hatte, eine Welt, deren Lauf nicht durch Gewalt bestimmt ist.

Wir brauchen eine politische Kultur, die Aufstieg und Selbstermächtigung nicht in narzisstische Triumphe verwandelt und Gewaltverhältnisse nicht auf sexualisierte Zugriffe reduziert, eine Kultur, die sich nicht begnügt mit Gleichstellungsforderungen, so als hätten wir es mit Missständen in einer ansonsten intakten politischen Landschaft zu tun und als sollten wir es mit deren Eliten gleichtun.
Das Leben reicht meist aus, um zu verstehen, dass Herrschaft und Gewalt in die Menschen einwandert, und um zu verstehen, dass jede Macht Zustimmung braucht, eine Zustimmung, die verweigert werden kann. Dieses Verstehen schließt Ratlosigkeiten ein. Und zugleich braucht es die Entscheidung zum ständigen Dialog und zu einer umfassenden Gewaltkritik. Die Gleichzeitigkeit von Ratlosigkeit
und politischer Entscheidung verlangt Nachsicht. Und diese braucht Fremdheiten und Freundschaften bis zum Tod.

 
 V.    In the upheavals of the 1970s, public space had created new friendships that differed from the private. For example, the feminist "Agora" made sure that the world was recognized as a "giant phonograph" in which the ideas that were once spoken into it, echo.
So the history of the first women's movement had become important reading to catch up on. 100-year-old texts became new discoveries, which expected a political awakening, a "revolution" in the minds from the participation of women in public life - a mortgage for future generations.
 
Hedwig Dohm, an outsider who waged her struggle with pugnacious texts, a mixture of agitation and analysis, bitterness and wit, had always placed the voting rights of her time in connection with comprehensive gender injustice and at the same time did not spare women, especially not the self-righteousnesses bourgeois women. If God had a wife, she wrote, she would have to be like the German housewife. She would allow to happen to her what men like to let happen to her. She would elevate the lackeys' servility to her natural being, bask in the offices of her master, grant him the enjoyment of private power and extend his master's authority
as a gift to all men. She would develop too little anger to feel her own humiliation, too little understanding to recognize their causes and too little heart to be touched by the suffering of her peers.
 
This criticism was directed against the power of a centuries-long patriarchal cultural history and its actors, but also against the objects of this power, women, insofar as they support the humiliating structures with their fit. Because every power is dependent on support, without consent it will disintegrate at some point. This view does not persist in the accusation of an external enemy. It calls for the maturity of women and does not protect them from the insight that they are co-carriers of social injustice, provided that they leave the things of the world unhindered to the hegemonic masculinity.
 
Women should be trusted to look into their own interdependencies and to encourage themselves to think for themselves. They would overcome their "moral weakening" and their attachment to their own little world of their own, leave all compliance behind them and appear with open visors. There was less talk of "liberation", a discharge of burdens, a kind of redemption, than of "elevation", a superiority that emerges from the depressing history of humiliation and equates it with all the risk through increasing knowledge - an ongoing task with which women could surprise themselves, society, and democracy.
We now take note of these descriptions of the situation like the diagnosis of a disease that has long been overcome.Our achievements have become a matter of course for us; we believe that we are far removed from the standardized evils that clouded the horizons of our predecessors. 
 
Other questions arise today. Our predecessors assumed that »women«, qua gender and history, formed an independent political entity whose entry into public life would restructure society. This belief cannot be upheld, this "unity" does not exist. The history of emancipation has long since diversified the sex that has been forced to unity and makes it visible across the political spectrum. The democratic regression begins today at the ballot box. And there are also those for whom "antigenderism" has become a program and for who "right-wing feminism" is not a contradiction in itself. Women who not necessarily correspond to the clean stereotype of complementary femininity are also committed to it. If they - together with some old feminists - believe that they recognize the main threat to European women in male migrants, they do not seem to see any contradiction between feminism, ethnic thinking and racism.

What is over in this messy political landscape, what is not over, equality with what and with whom, self-determination to what and for whom? What would our predecessors (women) say if they could look into the present? They would be amazed at first, because legally the patriarchy in this country has been overcome. But they could ask why a just society has not been achieved despite formal equality. They would perhaps express doubts as to whether the installation of women in existing systems of power is really the Königsweg/best way to a better world. They would be a reminder that their idea of ​​change had "the whole" in mind, a world whose course is not determined by violence.
 
We need a political culture that does not transform ascent and self-empowerment into narcissistic triumphs and that does not reduce conditions based on violence to sexualized attacks, a culture that is not content with demands for equality, as if we were dealing with grievances in an otherwise intact political landscape and as should we do the same as their elites.
Life is usually enough to understand that rule and violence invade people and to understand that every power needs consent, consent that can be withheld. This understanding includes perplexity/cluelessness. And at the same time, a decision is needed for constant dialogue and a comprehensive criticism of violence. The simultaneity of perplexity/cluelessness and political decision requires leniency. And this needs strangenesses and friendships until death.
 
 
   

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